Mathematik gegen die Krise
30.10.2012Wie sich die Folgen einer Finanzkrise mit verbesserten mathematischen Modellen in Zukunft begrenzen lassen, untersuchen Forscher aus ganz Europa in einem neuen, fächerübergreifenden Netzwerk. Alfio Borzi, Mathematiker der Uni Würzburg, entwickelt dafür neue Kontrollmechanismen.
„STRIKE - Novel Methods in Computational Finance“: So lautet der Name eines neuen
Forschernetzwerks, in dem sich Wissenschaftler aus 14 europäischen Universitäten und Mitarbeiter
von sechs Unternehmen aus dem Finanzsektor zusammengeschlossen haben. Ihr Ziel ist es, Modelle
und Konzepte auf rein mathematischer Basis zu entwickeln, die in Zukunft dazu beitragen sollen, die
Folgen einer Finanzkrise zu vermindern. Die Europäische Kommission fördert das Netzwerk mit rund
3,6 Millionen Euro.
Die Mitglieder des Netzwerks arbeiten im Grenzgebiet zwischen Finanzmathematik, Modellierung,
Numerischer Mathematik, Optimierung und Parallelem Rechnen; im Januar 2013 werden sie die
Arbeit aufnehmen. Professor Matthias Ehrhardt, Mathematiker an der Bergischen Universität
Wuppertal, koordiniert das Netzwerk. Der Mathematiker Professor Alfio Borzi vertritt die Universität
Würzburg.
Die Bedeutung mathematischer Modelle
„In der Finanzmathematik hat die Komplexität von mathematischen Modellen in den letzten Jahren
enorm zugenommen. Um dieser Entwicklung Rechnung zu tragen, müssen neuartige Modelle
analysiert und modernste numerische Verfahren entwickelt werden“, beschreibt Alfio Borzi die
Aufgabe für das Netzwerk.
Mit mathematischen Modellen errechnen Börsenhändler heute Wahrscheinlichkeiten dafür,
innerhalb welcher Zeit bestimmte Papiere einen definierten Wert erreichen können, wie groß die
Abweichung von diesem Wert sein könnte und viele Parameter mehr. Auf diesen Daten basieren in
der Regel ihre Kaufen- oder Verkaufen-Entscheidungen. Kleine Fehler in den Modellen können
deshalb große Auswirkungen haben.
Wichtige Effekte werden nicht berücksichtigt
Das gilt umso mehr, wenn diese Modelle bestimmte Effekte gar nicht berücksichtigen können, wie es
derzeit der Fall ist. „Klassischen finanzmathematischen Modellen ist es beispielsweise nicht möglich,
den sogenannte ‚Ansteckungs- und Herdeneffekt‘ zu berücksichtigen“, sagt Borzi. Dabei spielt
beispielsweise der Ansteckungseffekt in der derzeitigen Finanzkrise in Europa eine besondere Rolle –
wenn etwa Italien ins Straucheln gerät, weil Griechenland seine Kredite aus Rom nicht mehr
bedienen kann, und dann weitere Länder mit in den Strudel hinein zieht.
Die Mitglieder des Netzwerks wollen deshalb neuartige Modelle und Erweiterungen der klassischen
finanzmathematischen Modelle entwickeln und diese Modelle mit Hilfe von effektiven und robusten
Rechenverfahren überprüfen und neu ausrichten. Alfio Borzis Aufgabe ist es, sogenannte
stochastische optimale Kontrolltechniken zu erarbeiten. Diese sollen auf rein mathematischer Basis
Vorschläge zur Verminderung der Finanzkrise erstellen.
Zusätzlich werden die Mitglieder des Netzwerks in den nächsten vier Jahren zwölf Doktoranden und
fünf Post-Doktoranden ausbilden. Besonderer Wert werde dabei auf Soft Skills gelegt - vor allem auf
ein soziales Bewusstsein. Gerade im Hinblick auf die jüngsten Finanzkrisen hält die Europäische
Kommission diesen Aspekt für enorm wichtig.
Die Mitglieder des Netzwerks
Partner im Netzwerk sind die Universitäten Antwerpen (Belgien), Bratislava (Slowakei), Coruna und
Valencia (Spanien), Lissabon (Portugal), Greenwich und Sussex (Grossbritannien), Paris VI
(Frankreich), Rousse (Bulgarien), Wuppertal, Würzburg, die Fachhochschule Zittau/Görlitz sowie die
Technischen Universitäten Delft (Niederlande) und Wien (Österreich). Als Unternehmen im Netzwerk
vertreten sind: MathFinance AG, d-fine, Postbank AG, Ortec Finance, ING Bank und Rabobank.
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Kontakt
Prof. Dr. Alfio Borzi, T. (0931) 31-84132, E-Mail: alfio.borzi@mathematik.uni-wuerzburg.de
(einBLICK vom 30. Oktober 2012)